Tochter Lilian hatte wohl schon so eine Vorahnung, wie der Theaterabend mit ihrer Mutter Michaela May ablaufen wird, als die Schauspielerin lange nach dem passenden Outfit suchte. Hauptsache bunt, ein langes Blumen-Flatterkleid mit Häkel-Westchen, drei, ach, besser gleich vier Ketten dazu, John-Lennon-Gedächtnisbrille auf die Nase - und schon ging’s zur Premiere des Kultmusicals „Hair“ ins Deutsche Theater. Auf dem roten Teppich wurde ausgelassen getanzt, das Peace-Zeichen gemacht - wie der TV-Star („Das war meine Zeit!“) waren alle Premierengäste schon vor Beginn in Flower Power-Stimmung. Let the Sunshine in. Genau.
„Hair“ - das Lieblingsmusical aller Friseure, Schlaghosenträger und Cannabis-Anpflanzer. Bei seiner deutschen Erstaufführung im Münchner Theater an der Brienner Straße damals in 1968
gab es einen handfesten Skandal: Hippies auf der Bühne! Joints werden gereicht! Nackte Menschen singen ihren Protest gegen das Establishment! Und heute? Da regt sich kein Zuschauer mehr über nackte Tatsachen und Haschpfeifen auf. Und doch ist das Stück über 50 Jahre später mit seiner Botschaft „Make love, not war“ aktueller denn je. Lange Haare, Sonnenblumen und freie Liebe wurden zu Symbolen des Protestes im Zeitalter des Wassermanns.
Regisseur Andreas Gergen hat für seine Inszenierung eine Top-Besetzung fürs Hippie-Happening gefunden: Julia-Elena Heinrich (ausgebildet an der Everding-Theaterakademie) als stimmgewaltige „Sheila“. Schauspielerin Tanja Schumann, die als ziemlich crazy Amerikanerin abgeht und gleich darauf als strenger US-Offizier wiederkommt. Wie der kleine Duracell-Hase und so richtig schön schwul spielt Aaron Röll den „Woof“ (nicht nur wg. pink Zottelweste einfach zum Knuddeln).
Judith Lefeber darf als „Dionne“ den größten Hit aus „Hair“ singen: „Aquarius“. Judith gehörte zu den besten Stimmen, die jemals bei der Talente-Show DSDS mitgemacht haben. Daniel Eckert spielt den spießigen „Claude“, der bei Filmaufnahmen (natürlich für seinen Videokanal (!) - wir schreiben ja 2023) auf die schräge Flower-Truppe trifft und gekommen ist, um zu bleiben. Und dann haben wir noch den Anführer der Hippie-Familie: „Berger.“ Der muss immer von einer besonders charismatischen Persönlichkeit gespielt werden. Mit Denis Riffel wurde ein echtes Bühnentier gefunden. Denis (es sind seine echten, mehr als schulterlangen blonden Haare) singt sogar noch, wenn er sich vom ersten (Bühnen-) stock fallen lässt.
Dauer-bekifft, immer ein bisschen „drüber“, eben noch sexy und schrill, dann gleich brutale Schicksale (Rassismus, Homophobie) - Handlung und Cast bieten wahrlich keine leichte Kost in diesen 2 1/2 Stunden. Aber es gibt einen Lösungsvorschlag: Die Sänger zeigen perfekt zwischen den riesigen L-O-V-E -Leuchtbuchstaben als Bühnenkulisse, worauf es im Leben am Ende des Tages ankommt.
"Hair" noch bis 30. Juli 2023 im Deutschen Theater, eine Produktion des Salzburger Landestheaters.
Foto: ganz-muenchen.de
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